Filmkritiken
Gran Turismo
erschienen 10.08.2023
Länge 2 Stunden 15 Minuten
Genre Sport, Action, Thriller, Abenteuer
Regie Neill Blomkamp
Cast Archie Madekwe, David Harbour, Orlando Bloom, Djimon Hounsou
Drehbuch Jason Hall, Zach Baylin
Score Lorne Balfe, Andrew Kawczynski
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Quelle: themoviedb.org

Gran Turismo

5 / 10

Sonys verfilmter Werdegang vom Gamer zum Racer gerät mehrmals ins Schlittern.

Seit jeher als langjähriges Rennsimulations-Spiel mit präzisen Wagen- und Strecken-Modellierungen in Sonys PlayStation-Lineup bekannt, erzählt nun der Film Gran Turismo das Abenteuer des leidenschaftlichen Racing-Gamers Jann Mardenborough (Archie Madekwe) vom Schreibtisch-Setup im heimischen Cardiff zum Einstieg ins Cockpit eines Rennwagens vom Stall Nissan Motorsports. Dabei bietet die Filmadaption der auf wahren Begebenheiten ruhenden Geschichte die Chance den Übergang zwischen Virtualität im Videospiel und Realität auf einer echten Rennstrecke dank Surround-Sound und adrenalingeladenen Bildern präzise einzufangen.

Dies gelingt durchaus, denn das Prunkstück von Gran Turismo sind dankenswerterweise die Rennsequenzen. Mit einem wuchtigen Sound-Design, das ein Stück weit „Top Gun: Maverick“ nacheifern möchte, sowie den vibrierenden Bildern wird die einschüchternde Kraft innerhalb und außerhalb der Karossen unmissverständlich vermittelt. Doch wäre es auch sehenswert gewesen, wenn für 15 bis 30 Sekunden die Kamera in eine starre Ich-Perspektive gewechselt worden wäre, ein Dröhnen aus der Soundanlage den analogen Rausch und Druck aus nächster Nähe abbildet und ein Staunen beim Zuschauenden im Befahren eines geraden Streckenabschnitts einsetzt, beispielsweise bei Sebastian Vettels Überquerung der Start-Ziel-Linie in Monza mit 365 km/h inklusive brutalem Bremsvorgang. Wenn schon David Harbour etwas von G-Kräften in Rennautos erzählt, die doppelt so groß sind als bei einer Rakete beim Abheben, dann reicht es nicht Fahrer:innen, Fahrzeug und einen Motor im Hochbetrieb im schnellen Schnitt auf die Leinwand zu zimmern.

David Harbour als Team-Mentor und ehemaliger Rennfahrer Jack Salter ist zumal auch der einzige schauspielerische Lichtblick im Film, wenn er Instruktionen mit Humor unterfüttert, am Headset mitfiebert und Konversationen mit dem Hauptdarsteller Archie Madekwe führt und trägt. Zweiter kann zwar die Leidenschaft für das Videospiel und das Schwanken zwischen Mut und Zweifel im Cockpit in Jann herüberbringen, doch fehlt es in einer Schlüsselstelle an genügend Reflexionsvermögen. Seine Reaktion auf die Konsequenzen und im eigenen Umfeld wird gezeigt, aber an eine mentale Zerreißprobe traut sich Gran Turismo nicht heran. Der Kollateralschaden reibt sich mit der Aufopferung für Mardenboroughs Traum und lässt dabei unschöne Erinnerungen an „Whiplash“ wach werden. Schweiß und vertrocknetes Blut sind zu sehen, aber der Protagonist hätte bei diesem Ereignis seine Stimme über den hohen Preis, der entstanden ist, erheben können, ja gar müssen. Und wenn nicht er, dann doch wenigstens der Abspann als respektvolle Erinnerung, sofern das Ereignis vollständig aufgeklärt werden konnte.

Orlando Blooms Charakter als den Initiator der GT Academy Danny Moore wirkt wie die clownhafte Variante von Taron Egertons Henk Rogers aus „Tetris“ und ist als bloße Brücke zwischen Fahrer:innen, Öffentlichkeit und Vorstand zu eindimensional. Da passt es komischerweise, dass er wie Egerton zu Beginn erzählt, dass er das relevante Videospiel gespielt hat und davon völlig überwältigt war – naja, wer’s glaubt. Bei den weiteren Charakteren hat Regisseur Neill Blomkamp in die Klischee-Kiste gegriffen. Die Familie von Mardenborough wird aufs nötigste reduziert, genauso wie seine Freundin Audrey als Beziehungsanker. Der dargestellte Querschnitt der Gamer:innen in einer Halle als auch in der GT Academy wirkt platt.

Generell ist es keine gute Lösung, wenn das Spiel- und Fahrerlebnis als fokussierter Tunnelblick mit verlangsamter Zeit in der Umgebung beschrieben wird – selbst das lässt sich nur für Sekundenbruchteile beobachten – und dies sich im Drehbuch im späteren Verlauf so ausdrückt, dass fast der gesamte Cast zu Anfeuerungsrequisiten verkommt. Ja, anfeuern bedeutet anfeuern, aber selbst da lässt sich eine Varianz einbauen. Wie viel bedeutet einem das Erreichen des Ziels eines Protagonisten, geschweige denn einer x-beliebigen Person? In der Größe der Anteilnahme mündet die persönliche Verbindung und diese ist in Gran Turismo bedauerlicherweise dünn – vor allem nach dem schicksalsträchtigen Event. David Harbour und Djimon Hounsou als Janns Vater bilden da die Ausnahmen.

Völlig überzogen sind die Produktplatzierungen von Sony und mit Nissan. Es wird Flexibilität in der Geschichte durch Janns Freundin und dem Herausgeber von Gran Turismo geschaffen, die in einen völlig unnötigen Tokyo-Tourismus-Werbeabschnitt mündet. Das PlayStation-Intro und das PS4-Setup hätten ausgereicht, aber die Einblendungen und Gags mit den Walkmans sind überflüssig. Die zweifellos simulierten und dadurch ironischen Szenen in Le Mans sehen nicht gut aus. Warum eine Verfolgungsjagd mit peinlichem „Cop Avoidance“-Achievement implementiert werden musste, erklärt sich nicht. Wir sind hier schließlich nicht bei Need For Speed: Most Wanted! Der Soundtrack grätscht in die Rennsequenzen etwas zu oft hinein und holt am Ende einen ganz fiesen Trick aus dem Musikarchiv heraus, um die Gefühle heraus zu kitzeln. Und nein, damit sind nicht Kenny G und Enya gemeint!

Als Filmadaption überzeugt Gran Turismo mit seiner audiovisuellen Kraft in den entscheidenden Rennszenen, aber driftet unnötigerweise von seiner gewöhnlichen Handlungsstrecke gelegentlich ab. Dies artet in eine Überreizung der Produktplatzierungen sowie einer unnötig erscheinenden Beziehungsebene aus. Jann Mardenboroughs Übergang von Gaming zu Racing ist unübersehbar, aber schön wäre es gewesen, wenn Gaming und Gamer:innen mit der gleichen Seriosität behandelt werden wie das Kernthema. Kein unnötiger Querschnitt, keine bloßen Anfeuerungsrequisiten und erst recht keine Video-Overlays plus Errungenschaften abseits des Bildschirms.

Letzteres wirkt antiquiert und wehe da horcht eine ältere Person im Publikum auf und denkt sich: „Ach, so stellt sich dieser „Gamer“ solch eine Situation im echten Leben vor? Na hoffentlich trifft das nicht auch auf die Amo—“ genau, diese Denkweise sollte verhindert werden! Das Drehbuch ist fade, das Schauspiel damit solide bis plump und der Schlüsselmoment hat ein gehöriges Geschmäckle in Bezug auf Ehrgeiz und Reflexion des eigenen Risikos. Gran Turismo rast in seinen etwas mehr als zwei angenehmen Stunden von einer kräftigen Trainingsmontage zur nächsten in der Welt und wirkt in seiner emotionalen Tiefe wie ein Winken bei flotten Fahrtwind.

Kritik veröffentlicht am 14.08.2023.

Film Gran Turismo
erschienen 10.08.2023
Länge 2 Stunden 15 Minuten
Genre Sport, Action, Thriller, Abenteuer
Regie Neill Blomkamp
Cast Archie Madekwe, David Harbour, Orlando Bloom, Djimon Hounsou
Drehbuch Jason Hall, Zach Baylin
Score Lorne Balfe, Andrew Kawczynski