erschienen | 24.10.2024 |
Länge | 1 Stunde 38 Minuten |
Genre | Satire, Dramödie |
Regie | Ernst De Geer |
Cast | Herbert Nordrum, Asta Kamma August, Andrea Edwards, David Fukamachi Regnfors |
Drehbuch | Ernst De Geer, Mads Stegger |
Musik | Peder Kjellsby |
Quelle: Mindjazz Pictures
Beziehungskomödien- und dramen aus dem nordischen Raum haben in den vergangenen drei Jahren für Aufsehen gesorgt. Den Stein brachte der dänische Film „Der Rausch“ von Thomas Vinterberg ins Rollen – im Jahr 2021 ausgezeichnet mit dem Oscar für den besten internationalen Film. Darin ergründet eine vierköpfige Lehrerclique geht der These nach, ob ein konstanter und später leicht steigender Alkoholkonsum das Leben und die Produktivität nachhaltig verändert. Zum einen spielt Mads Mikkelsen (Casino Royale) einen der Lehrer, wodurch er unweigerlich zum Publikumsmagneten während des Films avanciert. Zum anderen dient das beschwipste Buddy-Abenteuer als Fundament für die davon beeinflussten Ehekrisen beziehungsweise die mentale Verfassung der Probanden. Hinzu kommen noch eingängige Musikstücke wie „Cissy Strut“ von The Meters und „What a Life“ von Scarlet Pleasure.
Ein Jahr später machte sich der norwegische Streifen „Der schlimmste Mensch der Welt“ diese Zutaten auch zu Eigen. So fand Regisseur Joachim Trier ein tolles Schauspiel-Duo in Anders Danielsen Lie (Auf Anfang) und Renate Reinsve (Aus Mangel an Beweisen) – ihr gelang mit der Auszeichnung mit der silbernen Palme als beste Schauspielerin der internationale Durchbruch. Neben dem ebenfalls ansprechenden Soundtrack konnte Trier mit den ausgerollten Themen Selbstfindungsphase wie Selbstwahrnehmung im jungen Erwachsenenalter, die Bindungsangst – die Quarter-Life-Crisis, wenn man möchte – beim Publikum punkten.
Und das Erfolgsrezept verbreitete sich weiter in den Nachbarländern: Finnland folgte fast auf den Fuß mit „Abteil Nr. 6“, der norwegische Regisseur Kristoffer Borgli trumpfte mit seiner Aufmerksamkeit-Horror-Satire „Sick of Myself“ im vergangenen Jahr auf – und Schweden? Dort nimmt sich der schwedische Regisseur Ernst De Geer der Aufgabe an, einen entsprechenden Beitrag zu liefern – gleichzeitig ist Hypnose sein Spielfilmdebüt. Für seine Beziehungsdramödie während des Workshops für Start-up-Unternehmer:innen hat er nicht nur ein passendes verspieltes Dance-Musikstück in petto, sondern beweist bei den Hauptrollen auch einen guten Riecher: Mit Herbert Nordrum aus „Der schlimmste Mensch der Welt“ zeigt sich ein schwächerer Publikumsmagnet als Mikkelsen, dennoch bekannter Schauspieler wieder auf der Kinoleinwand, mit Asta Kamma August eine spannende Newcomerin. Und das von ihnen verkörperte Paar André und Vera arbeitet in diesem Workshop an ihrem Pitch, also der Vorstellung ihrer Gesundheitsapp vor Investor:innen. So der eigentliche Plan. Denn in der Zeit treibt beide vor allem eine Frage um, die an den deutschen Slogan eines großen Möbelkonzerns erinnert:
Pitchst du noch oder lebst du schon?
Deutlich wird dies zu Beginn des Films, wenn Vera vor einem dunkelroten Hintergrund ihre persönliche, höchst dramatische Geschichte über ihre allererste Periode schildert. Die Wichtigkeit der von ihr und André entworfenen Gesundheitsapp unterstreicht sie damit, doch es folgt ein harter Gegenschnitt auf ihren Partner. Mit prüfenden Blick schaut er auf die Zeit, merkt Verhaspler an und deren Mentorin Lotta (Andrea Edwards, Easy Money) gibt zusätzlichen Input darüber, wie Vera ihre Story vorgetragen hat. Da zeigt sich auch die Marschroute in Hypnose: Eine Geschichte glaubhaft verkaufen, sich dafür verstellen und der Ehrgeiz, möglichst wenig Fehler zu machen – vortäuschen, um ja nicht zu enttäuschen.
De Geer weiß den Konflikt zwischen dem Paar prägnant, ohne großen Tamtam, aufzubauen. Im Anschluss keimt in Vera ein steigender Selbstzweifel von Szene zu Szene auf – denn Authentizität verbindet sie mit Ehrlichkeit und seriösem Auftreten. Als die Mentorin vorschlägt, in Zukunft eine Paywall in die App installieren zu können – um potentiellen Investor:innen einen wirtschaftlichen Profit schmackhaft zu machen – nickt Vera passenderweise quasi schräg mit ihrem Kopf. Obendrein lächelt sie mit geschlossenem Mund bei einem Interview – ihre Fassade bröckelt von Szene zu Szene. Doch André ist sich ihrer gemeinsamen Sache sicher, und er geht mit voller Zuversicht in den Workshop mit dem Namen Shake Up - auf Deutsch: wachrütteln.
Wachgerüttelt ist vor allem Vera nach ihrer Hypnosetherapie, die für sie ein Akt der Befreiung von allen Lasten ist. Hypnose fühlt sich an wie ein verrückter Hochseilakt über den Canyon der Ziellosigkeit: André versucht vorsichtig sich fortzubewegen und möchte es auf die andere Seite schaffen. Vera hingegen geht das Ganze nicht nur locker an, vor lauter, freigesetzter, kindlicher Energie macht sie im übertragenen Sinn lieber Radschläge und Turnübungen auf dem Seil. Mit der Einstellung bringt sie jedes Gespräch in teils große Turbulenzen. Die Angst hinunterzufallen, keinen Erfolg beziehungsweise keine beruflichen Aussichten für die Zukunft zu haben, schlummert jedoch in beiden. Hier knüpft Ernst De Geer thematisch an Joachim Triers Werk an.
Vera kommt ihre Furchtlosigkeit zunächst sogar zu Gute, als der Pitch-Coach Julian die Präsentation von beiden bewertet. André hingegen ist merklich nervös, mit katastrophaler Körperhaltung bei der ersten Übung, noch sichtlich überrascht von seiner Partnerin – später sollte sich seine Gefühlslage deutlich verschärfen. Herbert Nordrum schafft es, seine Figur in den verschiedenen Phasen mit Bravur zu spielen – ganz nebenbei schimmert kurioserweise ein Adam Driver in seiner Präsenz durch.
Der Gang übers mächtig schwingende Seil hoch oben wird immer schwerer für das Paar. Da offenbaren sich unter anderem die Risiken durch einen verstellten Charakter, um dem Gegenüber zu imponieren. So schießt André in einem Gespräch ungeahnt gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter. Bei Vera nimmt ihr befreites Auftreten eher ungezügelte Maße an: So rutscht ihr ein unangenehmer Klassenkommentar raus und zieht den Beruf von Andrés Eltern ins Lächerliche. Ernst De Geer zeigt Extreme im Verhalten seiner beiden Hauptfiguren: Zum einen warnt er vorm Selbstsinn mit kollateralen Schäden. Zum anderen fragt er, wie viel Aufrichtigkeit das private oder berufliche Umfeld eigentlich vertragen kann. Hypnose steuert da auf eine menschliche Zwickmühle zu.
Stark und teils schockierend ist der trockene Humor in Kombination mit den kühlen Beobachtungen beim Paar sowie bei den oberflächlichen Gesprächen während des Start-up-Workshops. Nicht von ungefähr entstehen dadurch amüsante Momente und welche zum Fremdschämen. Die emotionalen Spitzen streut der Regisseur nur vereinzelt ein, angestaute Meinungen lässt er in Blicke münden oder überträgt Beziehungen in Analogien – eine gute Entscheidung. Dadurch können auch die beiden Hauptdarsteller:innen glänzen.
Wer bereits seine Meinung gegenüber der Start-up-Kultur gebildet hat, wird in Hypnose nicht die großen Augenöffner erleben. Hier das supertolle Versprechen von der eigenen oder gemeinsamen Idee, da ein Einfallstor für Investoren zum Beispiel in Form von Paywalls in Apps und wer nicht mitspielt, wird eiskalt fallengelassen beziehungsweise abgewiesen – alles einleuchtend und klar herausgearbeitet. De Geer zielt lieber auf etwas anderes: die kleine Mitteilung am abseitigen Beistelltisch über eine Chance dank glücklicher nepotistischer Verbindung. Ein Talent oder ein ernstes Anliegen? Beides kaum von Belangen, um ein Unternehmen zu gründen und zu führen. Vera hat dies vielleicht schon im Vorfeld antizipiert und lotet dementsprechend die Grenzen aus. Womöglich greift Ernst De Geer deshalb auch zu einer herrlichen Hunde-Analogie, mit der er seine Geschichte festzurrt – mal als gebellte Albernheit, als provokanten Köder und um der Beziehung zwischen Gründer:innen und Investor:innen eine nicht abwegige Beifuß-Mentalität zu unterstellen. Letzterer Aspekt dürfte die Gemüter mit Sicherheit spalten, denn in diesen Bildern ist der Einfluss von Landsmann Ruben Östlund (Triangle of Sadness) zu sehen.
„Pitchst du noch oder lebst du schon?“ – auf diese Frage hat Ernst De Geer jedenfalls eine ausgefallene Antwort und ein vieldeutiges Ende parat. Er stellt daraufhin eine Frage, die nicht wenige junge Erwachsene plagen dürfte: Was nun? Möglicherweise fangen Vera und André an, sich wie die „schlimmsten Menschen der Welt“ zu fühlen.
Diese Kritik erschien zuerst bei Moviebreak.
Film | Hypnose |
erschienen | 24.10.2024 |
Länge | 1 Stunde 38 Minuten |
Genre | Satire, Dramödie |
Regie | Ernst De Geer |
Cast | Herbert Nordrum, Asta Kamma August, Andrea Edwards, David Fukamachi Regnfors |
Drehbuch | Ernst De Geer, Mads Stegger |
Musik | Peder Kjellsby |