erschienen | 20.07.2023 |
Länge | 3 Stunden 1 Minute |
Genre | Biopic, Blockbuster, Gericht |
Regie | Christopher Nolan |
Cast | Cilian Murphy, Matt Damon, Robert Downey Jr., Emily Blunt, Florence Pugh |
Drehbuch | Christopher Nolan |
Musik | Ludwig Göransson |
Quelle: themoviedb.org
Vorstellung der OV auf 70 mm im Savoy Hamburg
Da ist er wieder, der Erlebnisschöpfer und Mindfuck-Gestalter schlechthin. Drei Jahre nach „Tenet“ versucht sich Christopher Nolan nun an einem Biopic des „Vaters der Atombombe“ J. Robert Oppenheimer, für den er Cilian Murphy als Darsteller auserkoren hat. Die Anfänge im Bereich Quantenphysik bis hin zum Gerichtsdrama zu Beginn des Kalten Krieges in den 1950er-Jahren aufgrund seiner politischen Gesinnung und den persönlichen Groll von Seiten seines Gegners Lewis Strauss werden in visuell und akustisch mehr als satten drei Stunden abgedeckt. Eine Thriller-gleiche Inszenierung aus bebilderten Einwürfen der Kernenergie, ein mächtig tosender Sound als Begleitung sowie ein vermehrter Wechsel zwischen Farbaufnahmen – beim Werdegang Oppenheimers – und Schwarzweiß-Aufnahmen bezüglich Strauss und der gerichtlichen Aufarbeitung von Oppenheimers politischer Gesinnung in Bezug auf die Koordination des Manhattan-Projekts – Tools, mit denen Nolan die Genre-Konventionen aufbrechen möchte.
Und das gelingt auch, denn die 180 Minuten vergehen dadurch nicht so langsam wie befürchtet, doch der Hang zum Einnicken war dennoch teilweise vorhanden. Oppenheimer fühlt sich nämlich in erster Linie wie ein durchgängiges Nah und Fern an. So nah mit der Kamera am Gesicht von Cilian Murphy, am Herstellungsprozess der Atombombe und gleichzeitig so fern von jeglichen Emotionen. Oppenheimer rattert eiskalt runter und trotz der irritierenden Zeitwechsel und wuchtigen Einschübe tut sich beinahe nichts mit dem eigenen Befinden. Das große Problem ist die fehlende Ruhe und damit das Sound Design mit dem von Ludwig Göransson beigesteuerten Soundtrack, der eine Länge von sage und schreibe 95 Minuten auf den einschlägigen Musik-Streamingdiensten besitzt. Es dröhnt, es wird dramatisch, es wird einfühlsam, doch es ist im Grunde genommen einfach nur nervenaufreibend.
Muss dieser Film unbedingt ständig spannend oder super dramatisch klingen? Dient der Score eigentlich als bombastisches Ablenkungsmanöver und muss die Musik den Gefühlen den Weg weisen? Viele Bilder und Dialoge müssen gegen diese akustische Aufbauschung ankämpfen. Diese von Nolan gern zitierte „immersion“ in Bezug auf das 70mm-IMAX-Format… ein Riesenscreen und ein Riesenklang mögen natürlich beeindrucken, doch das Eintauchen in und das Interesse für dieses Thema muss nicht ständig von außen befeuert werden, sondern kann sich doch auch aus dem zentralen Bild, den Darsteller:innen, ihren Dialogen und höchstens dosierter Musik speisen. Mit dem überpräsenten Sound kommt das Geschehen noch sperriger herüber und der Eindruck wird erweckt, dass hier wieder eine Erfahrung erzeugt werden soll und der Dialog gar zum Beiwerk verkommt wie mehrfach unverständlich wird, bis auf die Schlüsselfetzen.
Der Cast macht seine Aufgabe, aber setzt auch nur das um, was ihm vorgegeben wird. Kalte Berechnungen, Strebsamkeit und Zweifel zeigen sich in Cilian Murphys starker Performance, wovon der letzte Aspekt gerne mehr hätte thematisiert werden können. Bei seinem bebilderten Privatleben und seinem „Womanizer“-Ruf treten die zweckdienlichen Frauenrollen zu Tage. Florence Pugh als Kommunistin Jean Tatlock ist viel zu blass, sodass sich auch ihre Nacktheit als Affären-Objekt kaum erklärt, und Emily Blunt lässt sich von Robert Oppenheimer Quantenphysik am Rande eines Events erklären, ähem. Eine Szene im Anhörungsraum ist auch mehr als unangenehm. Robert Downey Jr. hätte es nicht gebraucht (sofern man den Fokus des Films verschieben würde), Gary Oldman als Präsident Truman ist nicht der Rede wert, Tom Contis Albert Einstein ungewollt witzig und Matt Damon als General Leslie Groves ist solide beim Begleiten der „Wir stellen ein Team zusammen“-Montage und dem Entwicklungsprozess. Matthias Schweighöfer? Check. Rami Malek? Check.
Einen guten Eindruck gelingt Oppenheimer, wenn sich die Atmosphäre im Film bis zur Detonation der ersten Atombombe verdichtet und man ihrer schrecklichen Kraft beiwohnt. Bei der Entscheidung der Abmischung hätte ruhig alles weggenommen werden können und der jetzt schon zur Lächerlichkeit gereifte Satz „Now I am become Death, the Destroyer of Worlds“ für die zweite Erwähnung nur auf die ersten vier Wörter herunterreduziert werden können. Die Simulation einer Atombomben-Explosion geht in Ordnung, dessen abblätternde Auswirkungen auf einem gezeigten Menschenkörper aber so gar nicht! Die Einschüchterung durch die Explosion ist zum Glück vorhanden, aber es kann nicht ausreichen, Hiroshima und Nagasaki zu erwähnen und Oppenheimers glasige Augen währenddessen einzufangen. Die süffisante Erwähnung von Kyoto ist mehr als unglücklich gestaltet, ganz egal, ob dies im damaligen Meeting wirklich so gesagt worden ist. Das Ende zeigt auf den desaströsen Verlauf der Dinge und erinnert an die wieder angeheizte Lage der Weltpolitik, aber naja, es ist alles mal so passiert – es ist einfach beschämend, erdrückend, erzürnend und tieftraurig, was die verstrahlten Opfer von Hiroshima und Nagasaki und das bis heute angesammelte Zerstörungspotential dieser zu Tausende (!) produzierten Kernwaffen angeht. Diese Gefühlslage wird nicht vermittelt und das ist verdammt ärgerlich!
Oppenheimer ist audiovisuell aufgebläht und dahingehend ein vor sich hin blähender Blockbuster, der zwar im Mittelteil mitreißt, aber streng genommen auch zu einer dreiteiligen Standard-Fernseh-Doku für einen Nachrichtensender wie WELT oder ntv umstrukturiert werden kann, in der dazugehörige Expert:innen, Historiker:innen zu Wort kommen und zusätzlichen Input geben – so abgekühlt gibt sich die Inszenierung, in die der passable Cast sich einfügen muss (inklusive Wegwerf-Frauenrollen). Auf das Justiz-Drama in Schwarz-Weiß kann verzichtet werden. Das Schlimmste an Oppenheimer ist die selbstverursachte Verdrossenheit für die Atombombe durch den ständig intervenierenden Sound, die geringe Präsenz sowie schlechte Präsentation der Auswirkungen von einer solchen Waffe als auch ihre beiläufig erwähnte Kraft. Kilotonnen, Megatonnen TNT – das sind bloße Maßeinheiten trotz Halifax-Vergleich. Wo bleibt die emotionale Brücke zur Zerstörungsgewalt, zur Angst, zur Tod bringenden Qual der Verstrahlung, zu den gesundheitlichen Folgen für die zukünftigen Generationen der Betroffenen? Gestaltet als ein brummendes Biopic, wirkt Oppenheimer erschreckend unmenschlich für ein Thema, das die gesamte Menschheit betrifft.
Film | Oppenheimer |
erschienen | 20.07.2023 |
Länge | 3 Stunden 1 Minute |
Genre | Biopic, Blockbuster, Gericht |
Regie | Christopher Nolan |
Cast | Cilian Murphy, Matt Damon, Robert Downey Jr., Emily Blunt, Florence Pugh |
Drehbuch | Christopher Nolan |
Musik | Ludwig Göransson |