Photocopier

6 / 10

Es ist schon sehr ironisch nach einem Film über seine Kontroverse zu lesen, dass dem Drehbuchautor, der die Handlung rund um sexuellen Missbrauch geschrieben hat, genau das vorgeworfen wird. Das erzeugt natürlich ein schlechtes Bauchgefühl in mir und es wirkt sich auch nachträglich auf die Meinung aus. Aber deshalb den Film canceln zu müssen wäre in meinen Augen falsch, denn so untergräbt man all die behandelten Themen wie das monetäre Stilllegen von Vorwürfen, die Auswirkungen von empfindlichen Inhalten in den sozialen Medien, strikte Kulturvorschriften und nicht zuletzt der sexuelle Missbrauch.

Denn eigentlich ist Photocopier ein sehr spannender Streifen geworden, in dem der Studentin Sur ihr Stipendium entzogen wird, nachdem sie auf einer Party anwesend war und anschließend Bilder von ihr im berauschten Zustand in den sozialen Medien kursieren. Sie kann sich kaum mehr an diese Nacht erinnern und vermutet mit Drogen zugesetzt worden zu sein. Mit ihrem Nebenjob als Website-Designerin und Computer-Kenntnissen versucht sie nun die Ereignisse der Nacht Stück für Stück aufzuarbeiten.

Man muss sich zunächst in die untertitelte, indonesische Sprache eingewöhnen und die Einleitung bis zum verkaterten Morgen schleppt sich etwas, aber sobald Suryanis Spurensuche beginnt, gewinnt der Film ordentlich an Tempo. Ein digitales Hilfsmittel folgt auf das nächste, Beweise werden mühevoll zusammengesetzt und es entwickelt sich eine aufregende Kriminalgeschichte, in der die Gegenseite auch nicht zurückscheut. Die lahme CSI-Herangehensweise rund um das Thema Hacking stört. Mit dem Anschließen eines Ethernet-Kabels und dem Kopieren von fremden Inhalten ist die Definition beileibe noch nicht erfüllt. Ja, sie kennt sich etwas mit IT aus und kann Websites designen, aber einzelne Programme fürs Hacken oder das einmalige Zeigen des kompletten Vorgangs auf ihrem Windows-10-Laptop würden Suryanis Vorgehensweise schön abrunden. Andere Programme, u.a. zum Bearbeiten von Bildern, werden wiederum gut veranschaulicht. Der namensgebende Fotokopierer ist Dreh- und Angelpunkt des Films. Der scannende Lichtstrahl bringt die verborgene Wahrheit aufs Altpapier. Das Bild wird wiederum per Bildbearbeitung monochrom und invertiert. Die Enthüllungen sind clever und verstörend zugleich.

Die Handlung wird von Plot Twists geprägt, Foreshadowing findet in kurzen Erwähnungen und Einstellungen statt und die späte, psychedelische Prise gibt es ebenfalls, sticht aber ungewollt aus den strukturierten, düsteren Szenen heraus. Bezüglich des Finales muss der beschuldigte Drehbuchautor kritisiert werden, denn für mich ist das nicht konsequent ausgearbeitet worden mit Hinblick auf den Täter. Was für familiäre und gesellschaftliche Folgen drohen ihm nach der Beweislast? Wie wird mit sexuellen Straftätern in Südostasien umgegangen? Was sind die Beweggründe für den Missbrauch? Wie sieht die Gefühlswelt der Opfer aus? Wie schwer sind die juristischen Konsequenzen dort? Wie viele Straftaten geschehen in Indonesien jährlich? Hätte man da mehr Input reingesteckt, würde Photocopier ein umso größeres, bedrückendes Licht auf dieses sehr sensible Thema werfen. So wiederum kann man vermuten, dass Diskussionen rund um diesen Film schnell im Sande verlaufen werden und der Dunkelziffer an sexuellen Straftätern, in Südostasien und weltweit, nur kurz der Atem stocken wird.