erschienen | 09.03.2023 |
Länge | 1 Stunde 49 Minuten |
Genre | Gericht, Drama |
Regie | Alice Diop |
Cast | Kayije Kagame, Guslagie Malanda, Aurélia Petit, Valérie Dréville |
Drehbuch | Alice Diop, Amrita David, Marie N'Diaye |
Musik | Thibault Deboaisne |
Quelle: themoviedb.org
Ein 15-monatealtes Kind eingewickelt auf ein Ufer zu legen und es von den Wassermassen hinfort spülen zu lassen ist mit eines der grausamsten Taten, die man als einzelne Person vollziehen kann. Laurence Coly, eine Französin mit senegalesischen Wurzeln, hat diese Tat begangen und muss sich dafür nun vor dem Gericht im nördlichen Berck verantworten. Die schwarze Literaturdozentin Rama hegt ein Interesse für diesen Prozess und verfolgt ihn als Zuschauerin. Die Weichen in diesem Gerichtsfall, der auf wahren Ereignissen beruht und für den die Namen zwecks für dieses Justizdrama geändert worden sind, sind bereits gestellt und das Urteil praktisch vorprogrammiert. Die Regisseurin Alice Diop war bei diesem Prozess ebenfalls anwesend und blickt nun aus einer filmischen Distanz auf den Verlauf des Falls zurück mithilfe der stellvertretenden Schauspielerin Kayije Kagame, die die frühschwangere Literaturdozentin Rama verkörpert.
Die Rekonstruktion dieser schockierenden Tat erzeugt zunächst wenig überraschend Unverständnis und Kopfschütteln, doch mit jeder weiteren Information, jeden weiteren Zeug:innen und jedem weiteren Gerichtstag wird das Profil von Laurence und die Umstände vertieft. Dies sollte man nicht als einen Versuch der Relativierung seitens Diop abtun. Die Ursachenforschung offenbart viel mehr die Zerklüftungen in Laurences Leben: Mit dem Gebären des Kindes wird ihre Existenz von ihrem weißen Mann von heute auf morgen für nichtig erklärt und in ihrem Studium, das sie zu diesem Zeitpunkt betrieb, wird ihr empfohlen sich mit Philosophen der gleichen Hautfarbe auseinanderzusetzen anstatt mit Wittgenstein. Nach dem Begehen ihrer Tat schiebt ein Gutachter ihr Beweggründe zu, die mit der senegalesischen Kultur zusammenhängen.
Eine Angeklagte, der ihre menschliche Existenz nach der Geburt ihres Kindes abgesprochen, ihr eigener Bildungsweg durch rassistische Denke gelenkt und der die eigenen Wurzeln als Mitverursacher der Tat als Beweggrund zugetragen wird… hier wird ein Mensch in einen empörenden Trancezustand durch sein Umfeld versetzt und ihm sämtliche Charakteristika genommen, sodass nur noch eine physische Hülle übrigbleibt. Möchte ein Mensch diese Implikationen seinem Kind in der Zukunft zumuten wollen? Eine Frage, die aus dieser fatalen Verkettung resultiert und die sich auch Rama inner- und außerhalb der vier Wände des Gerichtssaals mit großen Sorgen stellt.
Nach einem ungeheuer nachhallenden Schlussplädoyer verbleibt die Tat schließlich eine Niederlage von Laurence, doch es ist auch eine Niederlage der Gesellschaft, die sie zu dieser Tat Stück für Stück verleitet hat. Die bebilderten Verweise auf die zukünftigen Generationen stellen nochmal klar, wie wichtig dieser Gerichtsprozess und der Diskurs über die rassistisch geprägte Dehumanisierung der Herkunft und Identität für die französische Gesellschaft ist, dies aber auch als Variable auf andere Länder übertragen werden kann. Bei all der Unmenschlichkeit, die in diesem Gerichtsprozess zu Tage tritt, ist Saint Omer von Alice Diop eine bewundernswerte, menschliche Geste.
Film | Saint Omer |
erschienen | 09.03.2023 |
Länge | 1 Stunde 49 Minuten |
Genre | Gericht, Drama |
Regie | Alice Diop |
Cast | Kayije Kagame, Guslagie Malanda, Aurélia Petit, Valérie Dréville |
Drehbuch | Alice Diop, Amrita David, Marie N'Diaye |
Musik | Thibault Deboaisne |