Filmkritiken
Sick of Myself
erschienen 09.03.2023
Länge 1 Stunden 37 Minuten
Genre Satire, Medien, Horror
Regie Kristoffer Borgli
Cast Kristine Kujath Thorp, Eirik Sæther, Fanny Vaager
Drehbuch Kristoffer Borgli
Musik Turns
  • Instagram
  • Letterboxd
Menü

Quelle: themoviedb.org

Sick of Myself

8,5 / 10

Der Abspann des Films ist lange vorüber, man kehrt in das gefensterte Foyer zurück, wirft einen Blick auf die gegenüberliegende Wohnseite und siehe da: Eine kaum zu übersehende, füllende Leinwand in einem Zimmer mit einer Folge von „Die Simpsons“ präsentiert sich ungeniert den Besucher:innen des Kinos, als würden die Bewohner damit implizieren wollen: „Schaut her! Wir können auch Filme zeigen!“ Ob hier nur Aufmerksamkeit für die heimische Ausstattung generieren werden soll, kann lediglich vermutet werden. Jedenfalls bildet dieser Blick eine treffende, kuriose Brücke zu Kristoffer Borglis Sick of Myself.

Denn die Aufmerksamkeit ist Dreh- und Angelpunkt in dieser Drama-Komödie, die das völlig toxische Paar Signe (Kristine Kujath Thorp) und Thomas (Eirik Sæther) in ihrem Leben in der norwegischen Hauptstadt Oslo begleitet, das auf tönernen Privilegien fußt. Ihren Lebensstil haben sie sich regelrecht zusammengestohlen und Thomas möchte daraus auch noch Profit schlagen, indem er als Künstler eine Möbelausstellung in nächster Zeit arrangieren möchte. Signe hingegen fristet ein „normales“ Leben als Barista in einem stinknormalen Café, ehe ein absurder Zwischenfall und ihr Akt der ersten Hilfe ein beinhartes Aufmerksamkeits-Duell heraufbeschwört. Ihre Tat versucht sie selbst hochzupushen, während sie Geschichten ihrer Freunde bei einem Tischgespräch unter Freunden entwertet. Dies schaukelt sich in der steigenden Reichweite immer weiter hoch. Wer behält die Oberhand? Wer darf der nächste „talk of the town“ sein? Hier erlebt man quasi eine auf die Spitze getriebene Version des Anfalls von Frauentausch-Andreas: „Halt, Stop! Jetzt rede ich!“

Langsame Zoomfahrten begleiten dabei stets die nächste an Aufmerksamkeit durstende Person und Story-Beats befördern die im Fokus stehende Signe auf eine Abwärtsspirale mit ausufernden Situationen. Befeuert wird dies von einer Pille, die nur Nebenwirkungen für sie hat und auf den ersten Blick eine klassische Drogenabhängigkeit abbildet, aber sich eher in ihrem krankhaften Drang nach Interesse festigt. Der Refrain von Green Velvets warnenden Techno-Stück „La La Land“ lässt dabei grüßen:

”Somethin’ bout those little pills unreal the thrills they yield until they kill a million brain cells”

Immer mehr Hirnzellen verabschieden sich in Signes Kopf und Kristoffer Borgli begibt sich mit seiner Protagonistin in Body-Horror-Gefilde. Ihr Gesicht transformiert sich auf schreckliche Art und Weise, wobei das exzellente Design der verschiedenen Hautmutationen an Gesicht und Oberkörper hervorzuheben ist. Sie möchte nun aus ihrem deformierten Gesicht Profit schlagen, aus ihrem selbstkreierten Leid ein Spektakel machen – eine entsetzliche, aber auch gelungene Umkehrung von David Lynchs „The Elephant Man“. Damit offenbart sich auch eine Tragik in Signes Krankheitsverlauf, denn innerhalb ihrer Inszenierung schimmert Signes Talent fürs Singen durch, welches aber durch das in ihr wütende Narzissmus-Monster untergeht.

Indes zeichnen die Bilder wunderbare Kontraste, die den duellierenden Aspekt der Beziehung unter anderem darstellen, beispielsweise Thomas‘ stolzes Zeigen eines Magazins, dessen Frontcover seinen Körper vor gestohlenen Möbel ziert, während sie mit bandagiertem Gesicht im Bett zusehen muss. Die mentale Bergspitze und Talsohle vereint in einem Bild. Die Dialoge werden mit der Zeit durch ihren Thrill nach Feedback und Ansehen angetrieben. Wie findet mein Gegenüber diese Aktion? Was hält er oder sie von mir? Mit was kann ich ihn oder sie übertrumpfen? Wie inszeniere ich mich dabei?

Signes selbstentwickelte Krankheiten und die Aufmerksamkeit bahnen sich ihren Weg in das Modelbusiness. Eine Agentur macht mit der Inklusion von schwer erkrankten Frauen von sich reden und besetzt eine Nische innerhalb des Spektakel-Spektrums – äußerst abstoßend, wenn auch die Bebilderung eines Modeslogans banal daherkommt. Natürlich darf diesem Drama mit derben Humor die wachrüttelnde Komponente nicht fehlen und so begibt sich der Film in einen leicht absehbaren Sumpf des selbstverschuldeten Elends, aber nicht ohne vorher die desaströsen Folgen ihres Aufmerksamkeitsdrangs aufzuzeigen, der sich bis in den Moment ihres Realisierens hineinschleicht.

Sick of Myself ist ein herrlicher Mix aus Drama, Satire, schwarzem Humor und Horror mit seinen absurden und teils wuchtigen Bildkompositionen. Zugleich amüsiert und verstört dabei Borglis drastisches Porträt der selbstzerstörerischen Vermarktung sowie der Aufmerksamkeit auf sozialer und medialer Ebene und schafft es dabei mit einem wirklich starken Schauspiel von Kristine Kujath Thorp Momente der Einfühlsamkeit zu kreieren, bei all der Stück für Stück zu Grabe getragenen Sympathie.

Film Sick of Myself
erschienen 09.03.2023
Länge 1 Stunden 37 Minuten
Genre Satire, Medien, Horror
Regie Kristoffer Borgli
Cast Kristine Kujath Thorp, Eirik Sæther, Fanny Vaager
Drehbuch Kristoffer Borgli
Musik Turns