erschienen | 21.12.2023 |
Länge | 2 Stunden 12 Minuten |
Genre | Sport, Drama, Familie |
Regie | Sean Durkin |
Cast | Zac Efron, Jeremy Allen White, Harris Dickinson, Maura Tierney, Stanley Simons, Holt McCallany |
Drehbuch | Sean Durkin |
Musik | Richard Reed Parry |
Quelle: themoviedb.org
Wrestling: Spektakuläres, amüsantes und stets gefährliches Kampftheater, das hinter den Kulissen auch ein Geschicklichkeitsspiel hinsichtlich der beabsichtigten Reaktionen aus dem Publikum ist und Momente wie diesen oder zuletzt diesen aus dem Nichts oder mit Monaten an Vorbereitung auf verblüffende Art und Weise generieren kann. Sean Durkins The Iron Claw weicht nicht von diesem Kurs ab und betätigt ganz in Hollywood-Manier auch Knöpfe und Hebel, um die Emotionen beim Zuschauen hervorzulocken.
Durkin erzählt die dafür prädestinierte und gleichzeitig absolut tragische Geschichte der texanischen Wrestling-Familie Von Erich. Fritz von Erich (Holt McCallany) ist die kräftige Wurzel allen Übels, so wie sich die Geschichte entwickelt. Sein Traum, der NWA World Heavyweight Champion zu werden, platzt und dieses Scheitern wandelt er in unbändigen Ansporn um, gerichtet auf seine Söhne Kevin (Zac Efron), David (Harris Dickinson) und Kerry (Jeremy Allen White).
Den Ansporn interpretiert Fritz als imaginäre Fäden, mit denen er wie ein Puppenmeister seinen Nachwuchs nach Belieben steuert und letztere geben brav bei, im naiven Sinne der brüderlichen Gemeinschaft. Der Filmtitel ist dabei zweideutig: The Iron Claw ist zumal ein Aufgabegriff sowie das Markenzeichen der Von Erichs, stellt sich aber zwischen den Zeilen als ein patriarchaler Klauen- und Klammergriff auf die gesamte Familie heraus. Träume und Ziele erreichen bedeutet hier, nicht den Vater zu enttäuschen.
Der Film kennt unüberraschend zunächst nur eine Richtung: nach oben. Muskelmassen türmen sich in den Trainingsmontagen auf, alles geht seinen Weg. Kevin ist der erste in der Familien-Pipeline und hat nebenbei das Glück, Pam Adkisson zu daten (Lily James) – eine später entscheidende Stütze für den Wrestler. Symptomatisch im Handlungsverlauf ist die genretypische Linearität in Bezug auf die einzelnen Stadien, die durchlaufen werden: Aufstieg, Turbulenzen, Abstieg, aufbäumen. Der angestachelte Wettlauf des Vaters wirbelt die Wrestling-Laufbahn der drei Brüder durcheinander, dann setzen die tragischen Ereignisse schockierend (gut!) ein. Als Überbegriff wird der Familienfluch erwähnt, der zum einen wirklich aus Pech besteht, aber auch vom Vater forciert wird. David von Erich erliegt einem Darmdurchbruch, Kerry von Erich verliert seinen rechten Fuß bei einem Motorrad-Unfall und zu allem Überfluss drückt der Vater seine Next-man-up-Mentalität durch, die Durkin überzeugend vermittelt.
“You want to be back in? Get up!”
Das geht soweit, dass sein vierter Sohn Mike (Stanley Simons) als leidenschaftlicher Musiker in einer Band die Familienehre im Ring hochhalten soll und nach einer ausgekugelten Schulter eine schwere Komplikation während der Operation erwischt. Mike gerät dadurch in einen komatösen Zustand und kann sich diesem entledigen, doch die darauffolgende Pressekonferenz mit Kevin an seiner Seite ist quasi das zentrale Motiv, das für einen Kloß im Hals sorgt. Der kaum Genesene kann sich kaum richtig äußern, Kevin schaut bedrückt rein und der Vater steht souverän am Rand, kein Anzeichen von Bedenken oder Reflexion. Fehler eingestehen und den Pfad als gescheitert betrachten kommt für Fritz von Erich gar nicht in den Sinn. The Iron Claw kämpft damit auch gelungen gegen das männliche Rollenbild: Keine Träne verziehen, Kopf hoch, weitermachen. Kaum zu fassen.
Die Szenen sind emotional und Durkin schafft es, die physische Kraft von den einzelnen Persönlichkeiten zu trennen und dabei zweitem entscheidend Gewicht zu verleihen. Denn im Grunde ist es eh egal, welche Muskelmasse tagtäglich bewegt wird, um für den Vater den ersehnten Titelgürtel der Promotion NWA zu holen – Hauptsache der Gürtel ist im Haus! Bei jedem der vier Brüder staut sich der mentale Druck an und das sorgt in den Schlüsselmomenten entsprechend für die meiste Spannung und Wirkung beim Zuschauen.
Das Casting der Familie Von Erich ist exzellent. Zac Efron ist hier in seiner bisher besten Rolle. Holt McCallany verkörpert den verachtenswerten Vater klasse und Harris Dickinson, Jeremy Allen White und nicht zuletzt Stanley Simons liefern einfach ab. Einen Wermutstropfen hat das Casting jedoch, denn: „wooooo“, wurde Ric Flair mit Aaron Dean Eisenberg unglücklich gecastet. Bei seiner späteren Promo führte das fast zum Bruch im Seherlebnis und fast könnte man denken, dass Ryan Gosling grob in den Gesichtszügen zu erkennen wäre.
Durkins Experiment mit dem Nachleben der verstorbenen Brüder ist mutig und klappt. Das Herz des Films liegt schließlich in den Gesten, sei es die Umarmung von Pam beim Date mit Kevin oder die der Brüder im Jenseits. Doch endgültig bricht der Tränen-Staudamm, wenn der zutiefst gebeutelte Überlebende Kevin seinen Kindern beim Spielen im Garten zuschaut. Mit feuchten Augen sieht er eine ungetrübte, persönliche Weiterentwicklung vor sich. Dass er keine Brüder mehr hat und seine Söhne sagen, dass sie seine Brüder künftig sein werden – ja, das mag kitschig klingen auf dem Papier, aber ist, mit der Historie der Von Erichs betrachtet, eine rührende Mündung als Resultat seiner unglaublichen Resilienz.
Was The Iron Claw sehr erfolgreich zeigt, sind der dargestellte Erfolgsdruck, die Unterminierung der Leidenschaft und unterdrückte Trauer und Schmerzen im Verlust von engen Menschen. Eine Verkettung durch egoistische Anstachelung und fatalen Familienstolz. Wenngleich eine weitere typische Komponente von Sportfilmen, so hat der hier abgebildete Druck nicht nur per se etwas Sportliches an sich, sondern ist mit der Eltern- und Familienkomponente auch nahbarer, zugänglicher. Sean Durkin stattet sein Porträt der Von Erichs mit einem fast komplett glänzenden Cast aus, weiß die Genrekonventionen eindrucksvoll zu nutzen und bringt das traurigste Ende des Jahres auf die Leinwand. Eine hervorragende Überraschung zum Jahresende.
Film | The Iron Claw |
erschienen | 21.12.2023 |
Länge | 2 Stunden 12 Minuten |
Genre | Sport, Drama, Familie |
Regie | Sean Durkin |
Cast | Zac Efron, Jeremy Allen White, Harris Dickinson, Maura Tierney, Stanley Simons, Holt McCallany |
Drehbuch | Sean Durkin |
Musik | Richard Reed Parry |