Filmkritiken
The Substance
erschienen 19.09.2024
Länge 2 Stunden 21 Minuten
Genre Horror, Satire, Thriller, Psycho
Regie Coralie Fargeat
Cast Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid
Drehbuch Coralie Fargeat
Musik Raffertie
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Quelle: Mubi

The Substance

7 / 10

Diese Kritik enthält Spoiler.

Ob künftiger Kultfilm oder nicht – das Finale von The Substance lässt einen so schnell auf jeden Fall nicht los! Mittels Body-Horror und Überspitzungen noch und nöcher formuliert Regisseurin Coralie Fargeat eine scharfe Kritik wie Satire gegen den Anti-Aging-Wahn, das Verlangen nach erneuten Ruhm, nach Bestätigung und die Unterhaltungsindustrie – mit Hollywood als zentraler Schauplatz. Zwei Stunden lang kommen in regelmäßigen Abständen die Ekel-Schübe, garniert mit einem gemeinen Sounddesign. In den verbleibenden 20 Minuten allerdings zimmert sie den Splatter-Horror mit solch einer unvorhersehbaren Intensität auf die Kinoleinwand, dass einem der Mund offen bleibt! Brechende Körperteile und insbesondere Transformationen gibt es zu sehen – es dürfte nicht verwundern, wenn sich der Magen vieler Zuschauer:innen im Verlauf verdreht. The Substance ist damit der womöglich ekelerregendste Film des Jahres – bleibt abzuwarten, was „Terrifier 3“ kommenden Oktober in petto hat.

The Substance ist zumal das Comeback für Demi Moore. Sie trumpft hier mächtig auf und glänzt in ihrem Portrait von Elisabeth Sparkle, einer erfolgreichen Aerobic-Trainerin fürs Fernsehen. Diese wird nach ihrem 50. Geburtstag von einem auf den anderen Tag ausrangiert – nicht mehr zu gebrauchen im Sinne ihres einstigen Produzenten Harvey (gespielt vom ebenso bemerkenswerten Dennis Quaid). Wenig später erhält sie einen Brief mit unbekannten Absender mit der Einladung, die titelgebende Substanz auszuprobieren. Der auf einem USB-Stick mitgeschickte Teaser vermittelt klipp und klar die große Möglichkeit für Elisabeth:

„Have you ever dreamt of a better version of yourself?“

Und eine Injektion mit der Substanz aktiviert beziehungsweise erzeugt diese „bessere, jüngere, perfekte“ Version aus Elisabeths Erbgut – mit folgendem Kniff: ab sofort wird die Lebenszeit für beide strikt aufgeteilt, sieben Tage für die neue Version, sieben Tage für das Original. Wird die Zeit überschritten, hat dies unumkehrbare Folgen. Während so die neue Version namens Sue (exzellent und erstaunlich mutig verkörpert von Margaret Qualley) in der Welt frei agieren darf, fällt das Original in einen komatösen Zustand. In der Zeit wird Demi Moores Elisabeth intravenös mit flüssiger Nahrung versorgt. Nach zwei Wochen steht für Elisabeth ein Kit mit neuer Nahrung bereit, das sie aus einem versteckten Depot abholt.

So weit so problematisch und gleichzeitig faszinierend ist der Mechanismus der Substanz. Sue weiß Harvey schnell zu beeindrucken und glänzt als Powermodel für ein Musikvideo zu einer Version „Pump it up“. Wobei die Präsentation nicht von ungefähr an das Video zu Eric Prydz‘ „Call on Me“ erinnert. Aber beim anstehenden „Lebenswechsel“ – dem sogenannten Switch – tut sich eine große Logiklücke auf. Denn Elisabeth und Sue agieren völlig selbstständig voneinander und teilen nicht ihre Erinnerungen. Person A weiß nicht, was Person B alles in der Zeit angerichtet hat – kein Update, keine Synchronisierung, kein übertragenes angestautes Wow-Erlebnis nach sieben Tagen. Das erscheint merkwürdig, denn die Werbestimme für die Substanz weist zudem darauf hin:

„Remember you are one! There’s no she, no you.“

Ihr seid eins, eine Aufforderung zur Zen-artigen Balance beider Leben soll das sein. Und Fargeat macht es sich einfach, indem sie dann meint: Diese Balance einzuhalten ist so utopisch wie jegliche Anti-Aging-Versuche zu unternehmen und den Körper über Schönheitsoperationen an die eigens empfundene Perfektion heranzuführen. Das Problem ist nur: Mit Verstand, nein sogar mit Ego, fällt das Logikkonstrukt in sich zusammen. Was hat Elisabeth Sparkle davon, dass sie Sue erschaffen hat? Im Grunde genommen gar nichts, ihr Leben dümpelt vor sich hin. Viel Interesse hat Fargeat an Demi Moores Figur nämlich nicht wirklich. Nach zwei oder spätestens vier Wochen würde Elisabeth abbrechen. Sie macht nur weiter, weil sie eine sportlich gekleidete Sue auf einem Billboard sieht und den Erfolg auf ihr Einwilligen ins Experiment zurückführt. Mensch, das alles schafft mein besseres Ich? Ich möchte gerne wissen, wie das weitergeht – ein wenig haltbarer Gedanke.

Stattdessen sollte Elisabeth sich fragen: Warum kann ich nicht etwas von dem Leben meines besseren Ichs mitempfinden, sobald ich wieder zum Leben erwache? Ich will den Erfolg fühlen! Genau: ich, ich, ich! Der Egoismus der Stars und Produzenten sollte gerade im Milieu der Unterhaltungsindustrie ins Gewicht fallen. So wie Fargeat den Produzenten Harvey – ein völlig willkürlich gewählter Name – als garnelenfressenden, knallharten Aussortierer inszeniert, erst recht. Nebenbei könnte Dennis Quaid den zurecht ausgebooteten Gründer der WWE, Vincent McMahon, perfekt spielen!

Die Erinnerungen, das Leben des anderen zu fühlen, sollten den entscheidenden Stützpfeiler bilden für die Brücke, für das Gleichgewicht im Leben von Elisabeth und Sue. Dass letztere den Weg zu Harvey findet, mag vielleicht auf entsprechende Vorkenntnisse schließen – genauso wie Alpträume, die beide Personen beim Switch erleben. Schlüssiger wäre es wiederum gewesen, wenn beide Frauen ihr Gedächtnis mit jedem Wechsel auffrischen. Der Moment des Switchs sollte für Elisabeth wie ein mächtiger Drogenkick sein, für Sue hingegen eine extreme Entzugserscheinung, die alle zwei Wochen abnimmt. Denn: Gib mir mehr von diesem Erfolg, von meinem perfekten Körper! Ich will dieses perfekte Ich sein! Aus solch einer Haltung lässt sich ebenjenes Suchtverhalten ableiten, dass dann immer extremere Züge im weiteren Verlauf annimmt. Auch der spätere Moment, wenn Sue sich einredet, sich selbst zu beherrschen, wenn sie Zeuge von Elisabeths Eskapaden im Loft wird, wirkt so stimmiger.

Seltsamerweise funktioniert The Substance, trotz der Logiklücke, als Studie über einen suchtkranken Menschen ausgesprochen gut. Die obligatorischen Nebenwirkungen treten durch den Missbrauch der Substanz auf. Dabei zieht Coralie Fargeat dessen Rahmenbedingungen rigoros durch. Kurz vorm Finale entsteht eine spannende Konfrontation, in der eine deutlich in Mitleidenschaft gezogene Elisabeth Widerstand gegen ihre jüngere Version leistet. Gerade so bringt sie die Worte „I am, I am“ über ihre geschwollenen Lippen. Dieser Moment ist – im Nachhinein betrachtet – wirklich herzzerreißend. Wo hat mich diese Substanz nur hingeführt? Was ist nur aus mir geworden? Ich hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen! Diese Gefühle kochen hoch, während Sue ihr den Rest gibt. Kurz darauf realisiert jene „perfekte“ Frau ihre Tat, völlig schockiert von sich selbst, versucht sie sich auf ihr großes TV-Event an Silvester vorzubereiten.

Ihr taumelnder Gang in Elisabeths Loft drückt einen mächtigen Schwebezustand aus – Nicht nur wie sie die Regeln der Substanz nun befolgen soll, sondern auch der fehlende Wiedererkennungswert wird mental auf sie übertragen. Eine Einstellung auf das Billboard mit der abgebildeten Sue, eine weitere Langeinstellung mit Zoom auf ihr sowie das Chaos innerhalb der vier Wände würde Bände sprechen. Mit dem zerstörten Riesenfoto von Elisabeth wäre hier ein schöner Abschluss gefunden. Aber the horror show must go on…

Und damit kommt das Finale von The Substance nun erst in Fahrt. Verzeihung: Auf dieses hätte Coralie Fargeat tatsächlich gänzlich verzichten können! Sues Körper zerfällt und in purer Verzweiflung injiziert sie sich die Reste der aktivierenden Substanz als vermeintlicher Stabilisator. Tja, Pech gehabt! Nur einmal darf jene Flüssigkeit gespritzt werden. Die Mutation ist programmiert, die Absurditäten werden ab dem Zeitpunkt einfach durchgezogen. Ja, der Horror erreicht seinen Peak und mit Lachen lenkt man sich gerade noch von all dem Ekel kurzzeitig ab. Das TV-Event an Silvester steht an, die mutierte Version aus Elisabeth und Sue schafft es die Bühne zu betreten. Der Schrecken breitet sich im Produktionsstudio aus, der Ausruf des Ekels setzt eine heftige Kettenreaktion in Gang.

Mit den Worten Freak und Monster wird um sich geworfen, doch warum möchte Fargeat nun den Mutanten aus Elisabeth und Sue humanisieren? Diesen Schritt hat sie bereits im Kampf beider im Loft vollzogen, nur bemerkt hat sie es wohl nicht. So ist es ein gescheiterter Versuch, David Lynchs „Der Elefantenmensch“ nachzueifern. Nett ist die Inspiration aus Brian de Palmas „Carrie“, deplatziert hingegen der Einsatz von Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ im alles entscheidenden Moment.

Nach dem audiovisuellen überwältigenden Bombast kehrt der Film schließlich fast zum Anfang zurück – eine Draufsicht auf Elisabeths beschädigten und vor allem von Passanten ignorierten Stern auf dem Walk of Fame in Los Angeles. Leider hat sich aber dieses Bild bereits nach der ersten wunderbar auf den Punkt bringenden Montage über das Leben eines Hollywoodstars in der Einleitung auserzählt.

Zudem kommt die Fargeats Kritik an den eingangs erwähnten Themen seltsamerweise schnell an ihre Grenzen. Warum bindet sie nicht die Beauty-Industrie mit ihren zig Produktempfehlungen ein? Die Werbeblöcke im Fernsehen sind immer noch sehr von Rollenbildern geprägt. Da die nächste Creme mit Hyaluronsäure oder anderen kaum aussprechbaren Inhaltsstoffen. Bei der Frau machen sich die Beauty-Unternehmen vor allem Gedanken um die Haut, bei den Männern geht es häufiger um die Haarpracht oder die geschmeidige Rasur. Warum sind es gerade diese Körperpartien? Die Entwicklung der Schönheitsprodukte zumindest für das weibliche Geschlecht zurückverfolgen – das sollte in Angriff genommen werden!

Auch der perfekte Körper rückt unweigerlich in den Mittelpunkt: schlank, durchtrainiert, vielleicht noch die entsprechende Brustgröße und ein lustvoller Blick. Die Kameraarbeit von Benjamin Kracun ist dahingehend provokant. Er suhlt sich förmlich in diesen Körpervorstellungen, unter anderem mit extremen Nahaufnahmen und einer leicht schwunghaften Bewegung. Kombiniert mit einer Interpretation von „Pump it up“ und Qualleys Präsenz soll das provozieren und hat schon voyeuristische Züge. Zunächst mustert man selbst sogar Margaret Qualleys Sue, ehe der Überdruss nach all den wiederholenden Einstellungen einsetzt. Da stellt sich aber auch die Frage: Wie würde sich eine Frau als Director of Photography in diesem Film schlagen? Der Plan zumindest geht auf, wenngleich Margaret Qualley hoch angerechnet werden muss, solch eine freizügige Rolle überhaupt erstmal anzunehmen – gleiches gilt für Demi Moore.

Dass die Körpervorstellungen auch patriarchisch geprägt sind, macht die karikatureske Darstellung eines Hollywood-Produzenten deutlich. Gemeinsam mit den später auftretenden Aktionären überspitzen sie den Blick, den wir als Zuschauer:innen uns abgewöhnen, nochmal deutlich. Sie entscheiden aber auch, welche Frau nach ihren vom Trieb geprägten Vorgaben entspricht. Durch diese Vorgaben fungieren die später ausgewählten Frauen durchaus als Role Models für den ständigen Drang nach Selbstoptimierung.

Hierbei macht der Film eine sehr gelungene Verbindung: Welche Auswirkungen diese Selbstoptimierung haben kann, zeigt die beste Szene aus The Substance. Von magenkrümmenden Horror ist darin nichts zu sehen. Nein, vielmehr ist ein mentaler Horror zu beobachten. In einem spontanen, aber auch panischen Moment entscheidet Elisabeth, ihren Klassenkameraden Fred aus früheren Zeiten zu treffen. Als sie ihren Termin für den Abend am gleichen Tag des Anrufs vereinbaren, beginnt die Elisabeths Qual vorm Spiegel im Badezimmer. Mit kritischem Blick trägt sie sich Make-up und macht sich hübsch, doch mit ihrem Gesicht ist sie nie ganz zufrieden. Selbstzweifel plagen sie, ihr Gesicht korrigiert sie noch weitere Male im Badezimmer – bis sie vor lauter Frust das Make-up mit ihren Handflächen zerstört. Ständige Unzufriedenheit, ständig sich in Frage stellen, ob man sich selbst endlich gefällt – das ist ein Gefühl, mit sowohl Frauen als auch Männer, mitfühlen können.

Was bleibt also von The Substance? Ist es ein feministisches Horror-Drama? Jein, dafür fehlt das Element des Empowerments beziehungsweise der Emanzipation. Antworten gibt es hier nicht zu finden, vielmehr muss Coralie Fargeat all ihre Gedanken in erster Linie mit aller Gewalt rausfeuern. Der Film schießt gegen die patriarchalen Strukturen im Unterhaltungsgeschäft und die Schönheitsideale, entwickelt sich aber mehr und mehr zu einer audiovisuellen Tirade. Motive wiederholen sich und der Film zieht sich nicht nur in die Länge – ein gelungenes Ende wird auf atemberaubende Art und Weise verpasst. Besonders stört die Logiklücke bei der Funktionsweise der Substanz, wodurch der Film seine Handlungsetappen stets eigentlich unter Vorbehalt erreicht. Wiederum tragen eine tolle Demi Moore, genauso wie Margaret Qualley und Dennis Quaid zu dem mehr als zweistündigen wilden Ritt bei. Als Body- und Splatter-Horrorfilm ist The Substance der helle Wahnsinn, als Satire eher überschaubar.

Film The Substance
erschienen 19.09.2024
Länge 2 Stunden 21 Minuten
Genre Horror, Satire, Thriller, Psycho
Regie Coralie Fargeat
Cast Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid
Drehbuch Coralie Fargeat
Musik Raffertie