erschienen | 27.08.2014 (Fantasy Filmfest) |
Länge | 1 Stunde 48 Minuten |
Genre | Mystery, Science Fiction, Horror, Gesellschaft |
Regie | Jonathan Glazer |
Cast | Scarlett Johansson, Jeremy McWilliams, Krystof Hádek, Adam Pearson |
Drehbuch | Walter Campbell, Jonathan Glazer, Michel Faber |
Musik | Mica Levi |
Quelle: themoviedb.org
Diese Kritik enthält Spoiler.
Am Anfang war das Licht, die Schöpfung, das Leben; am Ende das Feuer, die Zerstörung, der Tod – Kontraste bilden den religiös erscheinenden Erzählrahmen von Jonathan Glazers Under the Skin, doch darüber hinaus ist sein atmosphärischer SciFi-Horror von Interpretations-Spielräumen, Brüchen und bisweilen verstörenden Ambivalenzen geprägt, die wie Curveballs auf die Zuschauer:innen und die Charaktere geworfen werden. Glazer demonstriert dies bereits im zeitlich umsortierten Intro. Was zunächst nach einem von „2001“-inspirierten Prozess eines entstehenden weiblichen Menschen durch Licht, Farben und Wortfetzen ausschaut, entpuppt sich als eine von einem Alien durchgeführte Kopierung einer regungslosen Person, die zuvor nachts von einem Motorradfahrer in den schottischen Highlands aufgegabelt und in einen Transporter gelegt wird. Mit der Übernahme der Identität begibt sich die wandelnde Originalkopie (exzellent verkörpert von Scarlett Johansson) auf einen scheinbar normalen Road-Trip, zunächst durch eine Shopping Mall und schließlich auf den Straßen Glasgows. Die Miene des außerirdischen Wesens bleibt kalt und indes schleicht sie/es sich förmlich durch die bummelnde Menge und die späteren Straßenzüge, was mit der handwerklichen Herangehensweise via versteckter Kamera korrespondiert.
Nebenbei bahnt sich ein bissiger Kommentar auf die Kraft der Verführung und die sexuelle Gewalt auf und von Menschen an, indem die Protagonistin im Transporter junge, männliche Opfer auf der Straße oder im Club scoutet, in ein lockeres Gespräch verwickelt und sie im letzten Schritt in ihr runtergekommenes Heim ködert. Die umgekehrte Geschlechterrollen-Verteilung hebt für die Zuschauenden ihren eiskalten Modus Operandi und die Degradierung der Opfer zu später wörtlich werdenden Frischfleisch hervor. Rabenschwarz und bedrückend ist das Ambiente der Leere, innerhalb dessen Johanssons Rückwärts-Catwalk auf gläsernen Boden die Männer in eine schwarze Masse wie in einer Trance hineinsteuern lässt. Wenn ein späteres Opfer hilflos in der Masse feststeckt, von Stille umgeben ist und zusehen muss, wie ein anderer Mann vor seinen Augen implodiert und nichts als eine Hülle von ihm übrig bleibt, kann dies hier als die brutalere Version von „Promising Young Woman“ bezeichnet werden.
Nicht nur wird eine Originalkopie begleitet – auch zeigt sich keinerlei Mitgefühl von der Protagonistin, während man versucht sich in ihre Lage hineinzuversetzen. Das zeigt sich in der wirklich schockierenden Strandsequenz. Johanssons Figur hat im Prinzip schon das nächste Opfer ausgewählt – einen erfahrenen Schwimmer –, ehe sie Zeugin einer schrecklichen Verkettung von Ereignissen wird. Ein Hund ist drauf und dran in den Flutwellen zu ertrinken, während eine Frau diesem hinterherschwimmt und ihr anzunehmender Mann sie wiederum retten möchte und ihr Baby dafür zurücklässt. In einem Impuls der Zivilcourage eilt der Schwimmer zur Stelle und versucht wenigstens eine Person retten zu können. Die gesamte Komposition ist quasi eine Übertragung des Vorgangs im tödlichen Raum der Leere auf die natürlichen Küstengefilde und ist in ihrer Form derart von einer „grausamen Schönheit“ gezeichnet, dass es einem die Sprache verschlägt. Das klassische Szenario der unterschätzten Flut – und an ein Mitgefühl ist bei der Frau nicht zu denken.
Eher beobachtet sie das Szenario in ihrer Natürlichkeit ohne jegliche Wallungen und scheint im Wellengang ihren todesbringenden Catwalk wiederzuerkennen (man beachte die entgegengesetzte Richtung der Wellen). Eine Sympathie ihrerseits tief im Inneren für das desaströse Resultat könnte vermutet werden, wahrscheinlicher ist es aber ein zynischer Dank gegenüber der Natur für dessen verrichtete Vorarbeit, denn sie erschlägt den nicht mehr reagierenden Schwimmer mit einem handgroßen Stein nachträglich und schleift ihn vom Geschehen weg – eine Offenbarung ihres Kalküls. Obgleich dieser zwei Möglichkeiten ist dieses Verhalten durch und durch herzlos, was nochmal verstärkt wird durch das verwahrloste Baby, das in seiner Ohnmacht bis in die dunklen Stunden unentwegt schreit. Ignoriert wird es von der Frau, aber auch vom Motorradfahrer, der das Equipment der Eltern für den Ausflug mitnimmt.
Der Motorradfahrer nimmt eine Rolle als einsamer Wächter und Ordnungshüter ein, im Sinne von: „picking up the remains that were left behind“. Er scheint unmittelbar im Zusammenhang mit dem außerirdischen Wesen zu stehen und vernichtet jegliche Spuren zu dessen Existenz. Dass das Baby dennoch am Strand zurückgelassen wird, könnte daran liegen, dass er hinsichtlich der Kraft des Vergessens zuversichtlich gestimmt ist, das entstandene Trauma vom Kind nicht entscheidend aufgearbeitet werden wird oder die nächsten Stunden sowieso sterben wird. Ganz egal, wie man es dreht, es ist zutiefst erschreckend und bösartig. Verarbeitet hingegen werden die Menschen von der Frau im Fleischwolf ihrer finsteren Bleibe, der als Nahrungsquelle und Überlebensmechanismus für das Alien fungiert. Die dabei zu hörenden Geigen und der metallische Hall unterstreichen die absonderlichen Taten.
Überhaupt ist der von Mica Levi beigesteuerte Soundtrack exzellent getroffen. Der metallische Klang betont mit dessen Verlangsamung um ein Vielfaches die Kälte und Größe der Leere, ein Streichermuster schwirrt wie ein Insektenschwarm im Hintergrund und dann verdichtet sich die Atmosphäre schlagartig. Im Leitmotiv wie beispielsweise in „Andrew Void“ schrecken die Streicher auf, beginnen zu schreien und hören sich schmerzverzerrt an, ehe ein klopfender Beat, in der die Drum einen raumgreifenden Schritt betreibt (besonders in „Drift“), die Intensität steigert und die Elemente festhält. Wichtig dabei ist, dass Levis Beitrag keinen schlagartigen Jumpscare-Moment beinhaltet, sondern die unangenehme Stimmung aufrechterhält und mittels eines Nah-Fern-Kontrasts zwischen Streichern und Hall die ambivalente Atmosphäre im Film aufgreift.
Mit dieser Stimmung wird die Frau ebenso auf den Straßen Glasgows begleitet und das gesellschaftliche Leben dokumentiert. Abgekapselt und doch mitten in der Menge der Passanten befindet sie sich – ein einsames Voranschreiten zu Fuß, ehe sich ein weiterer Curveball anbahnt. Entlang einer Bummelmeile fällt sie auf den Boden und eine Anteilnahme sowie Hilfsbereitschaft der Passanten kommt der Frau entgegen. Ihre Realisierung dieser Geste tritt langsam in den Tracking Shots und dem überlappenden Schwall an Interaktionen und Emotionen ein, wenn die Streicher eine leicht erhellende Note besitzen. Auswirken tut sich dies auf das nächste Opfer – ein Mann mit einem deformierten Gesicht. Die Vorgehensweise bleibt unverändert, doch die Nettigkeit bzw. sein leicht demütiger Auftritt löst ein Mitgefühl bei ihr, ein gegenseitiges Interagieren, aus. Im schwarzen Raum wird er später begnadigt, was insgeheim den Motorradfahrer auf den Plan ruft, der davor noch die Frau streng beäugt. Die Verbindung zwischen dem Motorradfahrer und dem Agieren der Frau als eine Metapher für die operierende Unterwelt.
Under the Skin teilt sich grob in zwei Hälften auf. Während in der ersten das knallharte Vorgehen eines weiblichen Prädatoren eingefangen wird, so wird sich in der zweiten Hälfte dem wohlmöglichen Schicksal der anfangs eingesammelten Frau angenähert. In der Versetzung vom Fahrersitz zur blinden Passagierin in einem Bus tritt ihre Verletzlichkeit zu Tage, während ihre Verlorenheit, das Alleinsein, das Ringen mit sich selbst, wenn sie im Nebel umherwandert, bildlich unterfüttert wird. Als hätte sie durch den Kontakt mit der höflichen Geste am eigenen Leib in der Innenstadt ihre Souveränität eingebüßt und mit der Reflexion (inklusive Betrachtungen im Spiegel) den Anfang vom Ende ihres Lebens eingeleitet. Eine zufällige Begegnung mit einem Mann im Bus prägt den weiteren Road-Trip der Frau in ein abgelegenes Dorf mit verwinkelten Ecken. Die aufkeimende Liebesbeziehung mit einem Fremden fühlt sich, mit der vorzufindenden Zärtlichkeit, anziehend und abstoßend zugleich an. Zuneigung und Traurigkeit – ein mentales Auf und Ab, das sich musikalisch im Stück „Love“ in einem instabilen, bewegenden Streicherensemble wunderbar manifestiert.
Aufgrund des präsentierten Beutemusters aus der ersten Hälfte präsentiert sich das Finale umso furchterregender und ist beinahe kaum zu ertragen, wenn die Frau einer versuchten Vergewaltigung durch einen Förster entkommt. Sobald der schwarze Modellkörper hinter der abgepellten Menschenhaut sichtbar wird, zeigt sich die Tragik. Jeglicher Eindruck über Güte und Gegenseitigkeit im Menschen verkehrt sich ins Gegenteil: Ausnutzung, Egomanie, Würdelosigkeit – dem eigenen Modus Operandi zum Opfer gefallen. Auf keinen Fall sollte diese Szene als ein bloßes Schmecken der eigenen Medizin verstanden werden, sondern durch die Veranschaulichung der beiden gegenüberliegenden Blickwinkel auf das Thema sexueller Übergriff/Vergewaltigung wird ein kräftiger Abschreckungseffekt und Empathie für die Opfer solcher Taten erzeugt.
Jonathan Glazer hat mit Under the Skin einen faszinierenden, sehr menschlichen Film erschaffen, der gerade wegen seiner befremdlichen Alien-Perspektive auf dieses Thema funktioniert und dabei das Sympathische, das Einsame und das schlummernde Monströse im Menschen mit einem ungetrübten Blick einfängt. Vermehrt wird mit symbolischen Bildern arbeitet, sodass sich hier eine Bewegkunst praktisch zeigt, die meist über förmliche und natürliche Elemente läuft und Dialoge auf ein Minimum reduziert. Gleichzeitig bietet diese Vorgehensweise mehr als eine Interpretation an und das fordert wiederum die Zuschauer:innen heraus, was aber auch ein Einfallstor für Kritik ist. Die Charakterexpositionen werden einem selbst überlassen und teilweise ist es mühsam sich das Bild Stück für Stück zurechtzurücken, sodass es stimmig wirkt. Anstatt aber fieberhaft den Sinn und die Funktion zu ergründen, sollte das eigene Empfinden über das Gesehene im Vordergrund stehen. Under the Skin lebt nämlich von seinen audiovisuellen Ambivalenzen in der Kraft von Gestik und Aktionen sowie dem erstklassigen Soundtrack von Mica Levi.
Jedes Mal, wenn eine Anziehungskraft oder Verbindung durch Aktionen in einer Szene entsteht, arbeitet Glazer entweder gleichzeitig oder kurz darauf strikt dagegen. Gerade dieses gefühlte Auseinanderreißen verleiht dem Ganzen eine ironische Immersion. Scarlett Johansson liefert dazu ihren entscheidenden Beitrag wie auch die lobenswerte Zusammenarbeit mit Laiendarsteller:innen. Glazer zeigt, worüber sich ein Mensch definiert, wozu er oder sie fähig ist und präsentiert deren Potenzial und Enttäuschung auf eine immens effektive Art und Weise, die einen sprachlos zurücklässt und zum erneuten Sichten einlädt.
Film | Under the Skin |
erschienen | 27.08.2014 (Fantasy Filmfest) |
Länge | 1 Stunde 48 Minuten |
Genre | Mystery, Science Fiction, Horror, Gesellschaft |
Regie | Jonathan Glazer |
Cast | Scarlett Johansson, Jeremy McWilliams, Krystof Hádek, Adam Pearson |
Drehbuch | Walter Campbell, Jonathan Glazer, Michel Faber |
Musik | Mica Levi |